Bio2030 MitmachTagung Nordost
Stabile Erträge wurzeln tief undMehr Bio + Regionales für die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg
Bericht von der Tagung am 26. Februar 2020 auf dem Landgut Stober, Nauen im Havelland mit 120 Landwirten¹ und Händlern
Übersicht:
- Einführung ins Mitmachen
- Acker- und Pflanzenbau in Balance
- Position beziehen: „Erst Absatz sichern…“
- Mehr Bio + Regionales für die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg
- DANK
1. Einführung ins Mitmachen
Statt Sonntagsreden und Grußworten kurze Besinnung jedes einzelnen, warum er/sie heute hier ist, dann Austausch jeweils zu zweit und dann in 6 Gruppen an Flipcharts Hoffnungen und Befürchtungen für den Tag sammeln siehe Fotos
2. Acker und Pflanzenbau in Balance – besonders wichtig in Trockenjahren
Schwierige Rahmenbedingungen lassen die Erfolge in landwirtschaftlichen Betrieben noch weiter auseinanderklaffen als ohnehin schon. Aktuell – in der Vermarktungssaison 2019/20 – drücken gleich beide wesentlichen Erfolgskomponenten der Bio-Ackerbaubetriebe in Nordost-Deutschland auf die Ergebnisse.
Durch ein zweites Trockenjahr in Folge schwächeln die Erträge. Gleichzeitig bröckeln die Preise durch gravierende Umstellungszahlen in den vergangenen 3 Jahren in Deutschland und obendrein durch unkoordinierte Importaktivitäten. Stichwort Bio-Roggenmarkt: das sind importierte Mengen, die da aktuell auf die Preise drücken. Beide Themenbereiche, also Erträge und Preise wurden auf der MitmachTagung am 26. Februar 2020 auf Landgut Stober im Havelland ausführlich bearbeitet. Vormittags ging es um die Erträge.
Zur Verbesserung des ackerbaulichen Erfolges stellten sich 6 Betriebsleiter aus der angesprochenen Region der Diskussion, siehe PDFs im Programm. Erste Erkenntnis: Auch wenn man den Fokus auf eine bestimmte Region legt und eine bestimmte Fragestellung wie die jüngste Trockenheit bearbeitet, bleiben die betrieblichen Lösungen höchst unterschiedlich. Versucht man die verschiedenen Lösungsansätze zu ordnen, so kommt man etwa zu folgender Reihenfolge:
1. Grobe pflanzenbauliche Fehler erkennen und abstellen
z.B. Bodenbefahren und -bearbeiten bei Nässe, Stickstoff-Mobilisierung zur falschen Zeit oder verzettelte Feldaufgänge der Kulturen; hierzu Landwirt Christian Eiblmaier: „Es wird bei mir zu Mais nur jeweils so viel gepflügt, wie am gleichen Tag noch gesät werden kann“.
2. Kurzfristig wirksame verbesserte Maßnahmen einführen
z.B. leistungsfähige Leguminosen durch eine wurzelorientierte Produktionstechnik.
Praxisberichte: Jörg Juister und Peter Stuckert Moderation: Dr. Ralf Bloch und Arne Bilau
(siehe hierzu auch Artikel “Stabile Erträge wurzeln tief” in der Tagungsmappe)
3. Nährstoffkreisläufe organisieren
Je schwacher die ackerbauliche Basis, umso wichtiger ist dieser Aspekt.
Praxisberichte: Hubertus von Rundstedt und Christian Eiblmaier Moderation: Claus Hinrich Heuer und Martin Stein
4. Kulturen finden, die auf den Standort und in den Markt passen
z.B. Öl-Lein-Hinweis von Peter Stuckert, Nutzhanf-Hinweis von Dr. Wilhelm Schäkel
5. Langfristig ein höheres Bodenfruchtbarkeits-Niveau anstreben
Praxisberichte: Dr. Wilhelm Schäkel und Jens Petermann Moderation: Ulf Müller und Axel Vohwinkel
Die langfristige Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit ist so gesehen die höchste Stufe des Ackerbaues – quasi der „schwarze Gürtel“. Nur wer die vorausgehenden Verfahrensschritte halbwegs gemeistert hat, kann sich eigentlich erst dieser Aufgabe widmen. Hilfreich dabei ist grundsätzlich, wenn man den einzelnen landwirtschaftlichen Betrieb mehr oder weniger wie einen zusammenhängenden Organismus organisiert. Krzymowski 1919 (!):
„Man spricht dabei von einem Wirtschafts-Organismus. Ein landwirtschaftlicher Betrieb besteht aus einer Reihe verschiedener Betriebszweige wie Getreide-, Hackfrucht-, Futterbau sowie Rindvieh, Pferde-, Schaf- und Schweine- und Geflügelhaltung. Jeder Betriebszweig ist für sich gesehen unselbständig, alle Bereiche zusammen bilden aber einen äußerst zweckmäßig funktionierenden Organismus. Jeder Betriebszweig steht mit den anderen in funktionaler Wechselbeziehung“.
Es ist daher kein Zufall, dass gerade Betriebsleiter, die neben Marktfrüchten auch noch Futterbau und Rinderhaltung im Betrieb vertreten haben, sich zur Entwicklung der langfristigen Bodenfruchtbarkeit zu Wort melden. Insbesondere Kleegras-Futterbau und Rindermist gelten seit langer Zeit im ackerbaulichen Sinne als aufbauend. Verzichtet man auf beide Komponenten, so muss man an anderer Stelle umso mehr investieren.
Die 3 großen acker- und pflanzenbaulichen Betätigungsfelder sind die Fruchtfolge (inkl. der Zwischenfrüchte), die Bodenbearbeitung und die Düngung (organisch und mineralisch). Alle 3 Bereiche kann man vom landwirtschaftlichen Handeln her eher ackerbaulich (nach Prof. Roemer = Aufbau der Bodenfruchtbarkeit) oder eher pflanzenbaulich gestalten (= Nutzung der Bodenfruchtbarkeit).
Eine Balance zwischen beiden Seiten erhält in etwa die Bodenfruchtbarkeit. Will man sich mehr auf „Ackerbau“ also Bodenaufbau konzentrieren, so geht es um mehr Bodendurchwurzelung und um weniger Mobilisierung durch den Pflug, um mehr feste organische Dünger und um eine balancierte Kationenaustauschkapazität (KAK).
Im konkreten Einzelfall wird jede Betriebsleitung ihr eigenes individuelles Bodenfruchtbarkeits-Konzept entwickeln. Auffällig ist beispielsweise, dass in der norddeutschen Tiefebene (viel Auswaschung und wenig Mineralisierung zur richtigen Zeit) der Verzicht auf eine mobilisierende Pflugfurche zu Bio-Getreide die Erträge deutlich schmälert. Ein Betriebsleiter aus dieser Region: „Wir haben durch den Verzicht auf den Pflug unsere ohnehin schon niedrigen Bio-Getreide-Erträge noch einmal halbiert“. Demgegenüber bietet sich nach einer guten Zwischenfrucht und idealerweise einer organischen Düngung der pfluglose Übergang zu vielen von der Pflege her robusten Sommerblattfrüchten wie Körnerleguminosen, Mais, Kartoffeln und Sonnenblumen geradezu an. Die Hauptwachstumszeit ist später und länger als bei Getreide. Zudem wirkt eine gute und wenig gestörte Gare und Durchwurzelung im Boden bei diesen Kulturen deutlich ertragsfördernd.
Abschließende Frage aus dem Plenum der Tagung auf Landgut Stober am Vormittag: „Was ist denn nun wichtiger: ein möglichst akribischer Pflanzenbau oder das Achten auf den Aufbau von Bodenfruchtbarkeit – also Ackerbau?“ Antwort: „Beides in Balance!“ Gustav Alvermann, Bio-Ackerbauberater, im März 2020
Einige Erfahrungsschätze aus den Arbeitskreisen beschrieben von Gustav Alvermann:
Lückenlose Feldaufgänge sind in Trockenjahren und Trockenregionen die erste Hürde im biologischen Pflanzenbau.
Ist der Feldaufgang durch Trockenheit
und unsachgemäße
Bodenvorbereitung “verzettelt” (hier
bei Ackerbohnen),
so sind alle weiteren pflanzenbaulichen
Schritte von der
Beikrautregulierung durch den Bestand über die
Unkraut-
bekämpfung mit dem Striegel bis zum Finden des richtigen
Erntetermins konterkariert.
Gehackte Ackerbohnen
3. Position beziehen: „Erst Absatz sichern, dann mehr Bio erzeugen“
Alle Aussagen im Video
Dieser Schlagzeile aus der kürzlich erschienenen Bauernzeitung stimmen einige Landwirte und Händler spontan zu (a), viele differenzieren (b), während die Händler in c) vor allem betonen „ohne Erzeugung kann man kein Angebot machen und keinen Markt entwickeln“. Die Ecke „mir doch egal“ macht Bio aus Überzeugung, verlässt sich auf die drei anderen Ecken, hofft, dass das mit der Vermarktung gut fluppt und orientiert sich daran, was am besten läuft.
Zum Titel dieser Presse-Mitteilung des deutschen Bio-Dachverbandes BÖLW, Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft, kommt von d)
„ gut gemacht ist es, wenn wir es schaffen, die Bio-Produktion zu steigern, ohne dass die Preise verfallen“; a) hält den Satz für ganz weit weg von der Realität der globalen Märkte und der Verbraucher, die anders handeln als sie sagen; b) ist das egal, weil Bio aus Überzeugung unabhängig vom Markt-Potential gemacht wird oder „Bio und konventionell beide ihre Hausaufgaben machen müssen“; die große c)-Gruppe stimmt voll zu, weil wann, wenn nicht jetzt die Zeit reif ist, das Potential zu nutzen. Alle Aussagen im Video ab 07:33
Fazit: In unübersichtlichen Situationen gibt es oft verschiedene Standpunkte, die alle ihre Berechtigung haben. Um den eigenen Weg zu gehen, ist es gut, auch die Positionen zu kennen und anzuerkennen, die man nicht teilt.
Zur letzten Aussage wurden keine Positionen mehr bezogen, sondern sie diente nur als Hintergrund-Orientierung für die anschließenden Diskussionen der Lieferketten.
4. Mehr Bio und Regionales für die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg
Zwölf Thesen zu Handel und Lieferketten verdichtet aus „3. Position beziehen“ und den Arbeitskreisen zu Handel und Lieferketten von Conrad Thimm: Von den guten Absichten zum guten Handeln
- Bio-Fläche und Absatz parallel entwickeln
Das Bio-Angebot aus dem Nordosten passt nicht zur Nachfrage in der Hauptstadtregion; die Bauern erzeugen viel mehr Bio-Getreide, als Berlin braucht, und viel zu wenig andere Lebensmittel. Infrastruktur und Logistik der Lieferketten fehlen. Ausweitung der Erzeugung ohne passende Absatzwege führen zum Preisverfall. - Eine gut gemachte Förderung des Absatzes ist eine große Herausforderung
Der deutsche Bio-Markt wurde von unternehmerischen Landwirten, Händlern und Verarbeitern entwickelt, die ihr Handwerk verstehen. Beispiele erfolgreicher öffentlicher Förderung bietet Dänemark. Dort bildet der Staat den Rahmen und unterstützt die Eigeninitiative und Selbstorganisation der Akteure. - Alle Absatzwege anerkennen und mit alten Feindbildern aufräumen
Mehr und größere Absatzmärkte ohne Einteilung in Gut und Böse beugen dem Preisverfall auf Erzeugerseite vor. „Endlich mit alten Feindbildern aufräumen. Polarisierung ist ein Luxus, den sich die Branche auf dem Weg zur Transformation nicht mehr leisten kann.“ Jan Plagge, Bioland-Präsident. - Jede Lieferkette hat ihre eigenen Gesetze und Mechanismen
Zum erfolgreichen Vorankommen gehören vor allem die praktischen Markt-Akteure der jeweiligen Lieferkette. Jede Lieferkette braucht ihre eigenen MitmachWorkshops und ihren eigenen MitmachProzess , bei denen statt Sonntagsrednern und Politikern vor allem Praktiker zu Wort kommen und einander zugehört wird. - Das regionale Potential des LEH ist nicht ausgereizt
Die Nachfrage des Berliner LEH nach regionalen und Bioprodukten wächst stark. Das gilt für Vollsortimenter wie Rewe, Edeka und Hit, wie auch für Discounter wie Aldi, Lidl und Netto. Für die regelmäßige Belieferung werden oft Verarbeiter oder Bündler gebraucht. Bei wenig Brandenburger Ware ist hier Kreativität gefragt. - Bio + Regional in der AHV Außer Haus Verpflegung – öffentlich gefördert und privat schmackhaft gemacht
Der Berliner Senat, die Brandenburger Landesregierung und die Bundesregierung fordern und fördern Bio + Regionales in ihren Einrichtungen. Der AHV-Großhandel Transgourmet setzt auf Produkte mit einer Story, z.T. sogar auf Crowd Farming, um Bio + Regionales Küchen und Tischgästen schmackhaft zu machen.
- Selbst bei Bio-Mähdruschfrüchten geht noch was
2016 stellten viele Milchviehbetriebe um und Futtergetreide wurde teuer. 2018/19 stellten viele Ackerbauern um und die Getreidepreise sanken vor allem für EU-Bio. Mitgliedschaft in einem Verband und Läger sind gefragt. Erfahrene Bio-Landwirte setzen aus Preis-/Sicherheitsgründen öfter auf Mais, Leguminosen, Soja o. Sonnenblumen. - „Regionale Verbands Bio-Eier sind der Knaller“ Richard Geiselhart, Landkost-EiDie Landkost-Ei, Bestensee, sucht und unterstützt Betriebe, die regionale Freiland- und Bio-Legehennenställe bauen und betreiben. Legehennen können ein wichtiges wirtschaftliches Standbein der Betriebe werden und sorgen mit Ihrem Mist für dringend benötigten organischen Dünger und Schließung der Nährstoffkreisläufe.
- Bio-Milch: Erst Absatz sichern – für manchen Einzelnen bitter, aber für die Bio-Branche unvermeidbar
Seit 2016 möchten mehr Milch-Bauern umstellen, als die Molkereien zur Erhaltung des Bio-Preises aufnehmen. Trotz 30% mehr Bio-Milch blieb der Erzeugerpreis weitgehend konstant. Erzeugungs- und Logistikkosten, Produktdifferenzierungen und Marketinggeschick machen den Unterschied in diesem Bereich. - Bio-Fleisch: Schlacht- und Zerlegebetriebe werden gebraucht
51% mehr Bio-Fleisch-Absatz von 2015 -2019 liegen vor allem an verpackter SB-Ware und nicht an Fleischtheken. Der Mangel an Schlacht- und vor allem Zerlegebetrieben wird bedrohlicher, weil die relativ kleinen Bio-Stückzahlen für die immer größeren und konzentrierteren „konventionellen“ Betriebe immer uninteressanter werden. - Bio-Kartoffeln und Gemüse: Die größte Nachfrage und das kleinste Angebot
Regionale Kartoffeln und Gemüse sind besonders gefragt. Brandenburg hatte 2018 nur 280 ha Bio-Kartoffeln und 230 ha Bio-Gemüse, Niedersachsen jeweils zehnmal so viel. Die Nachfrage ist da, auch kleinere Betriebe können mitmachen, aber es fehlen in der Erzeugung Know-how, Kapital, Beregnung, geeignete Böden, Lagerung… - Neue Mähdruschfrüchte: Nutzhanf und Öl-Lein – neue Chancen?
Nutzhanf, gut angebaut, durchwurzelt den Boden tief und lässt sich gut verkaufen, wenn die THC Gehalte nicht zu hoch sind. In MV ist eine EZZ und in Wittstock/Dosse ein Kompetenzzentrum Nutzhanf im Aufbau. Für ÖL-Lein initiiert Bioland Berater Peter Stuckert, der sich damit auskennt, eine Erzeugergemeinschaft.
Zu 1. Bio-Fläche und Absatz parallel entwickeln
Bei derzeitigen immer noch relativ günstigen Landpreisen im Nordosten ist es naheliegender, in mehr Fläche zu investieren, als in eine höhere Wertschöpfung je ha. Viel Fläche lässt sich mit relativ geringem Kapitalaufwand mit Mähdruschfrüchten nutzen. Deshalb wird es unter derzeitigen Bedingungen im Nordosten weiterhin einen Getreide- und Mähdruschüberschuss geben und einen Mangel an allen anderen Erzeugnissen mit Ausnahme von Rindfleisch aus extensiver Haltung. Mehr Getreide lässt sich nur überregional absetzen. Das setzt zwar eine Bio-Verbandsmitgliedschaft, möglichst Lagermöglichkeiten und Absprachen über Fruchtarten etc. mit Abnehmern voraus, ist aber meist kein unüberwindbares Problem für unternehmerische Landwirte. Kontakt zu Abnehmern und Beratern ist der Schlüssel. Das gilt besonders, wenn Landwirte Getreide verkaufen und vom selben Abnehmer Futtermischungen zurückkaufen. Mit dem Futter können sie Tiere füttern, mit deren Mist sie ihre Felder düngen. Und sie schlagen fünf Fliegen mit einer Klappe: 1. Getreide verkaufen, 2. Tierische Erzeugnisse verkaufen, 3. organisch Düngen, 4. Nährstoffkreisläufe schließen und 5. CO2 binden. Pragmatische Strategien für Ökolandbau im Nordosten fördern eine Vielfalt an Absatzmöglichkeiten und -Wegen, um Überangebote zu vermeiden.
Zu 2. Eine gut gemachte Förderung
des Absatzes ist eine große Herausforderung
Die Spannung
zwischen dem Wunsch nach Ausweitung des Ökolandbaus und
Marktrealitäten lässt sich nicht pauschal auflösen. Schon in der
ersten Frage bei „3. Position beziehen“ wurde ganz klar,
Landwirte sind gut beraten, wenn sie die Vermarktung abklären, bevor
sie Bio erzeugen. Und genau so betonen Vermarkter, dass ohne Angebot
kein Markt entwickelt werden kann. Es kann also nur im Gespräch über
konkrete Produkte und Konditionen zwischen Erzeuger und Händler
gehen. Das ist nicht Aufgabe des Staates in einer Marktwirtschaft.
Aber der Staat kann den Austausch zwischen Landwirten und Händlern
fördern, dafür einen Rahmen bieten und alle Maßnahmen in dem
Bereich auch vorher mit den Praktikern abklären. So kann er unter
Umständen auch vermeiden, durch zu große Umstellungsanreize für
Landwirte eine relative Übererzeugung zu generieren, die zu
Preisverfall führt. Bio-Markt Weltmeister Dänemark hat seinen
ActionPlan immer mit allen Marktakteuren, den Kleinen wie den Großen,
entwickelt. Im Gegensatz dazu bestand der Beirat bei der deutschen
Zukunftsstrategie Ökologischer Landbau nur aus Vertretern der
Verbände und der Wissenschaft. Wirklich auf die Praktiker zu hören,
ist in Deutschland noch nicht so weit verbreitet.
Zu
3. Alle Absatzwege anerkennen und mit alten Feindbildern
aufräumen
Sollen
mehr Bio-Produkte verkauft werden, müssen sie da angeboten werden,
wo Verbraucher einkaufen, und das sind Bio-Märkte, Vollsortimenter,
Discounter, Drogerie-Märkte, Wochenmärkte und die
Außer-Haus-Verpflegung. Wachsen oder Weichen gilt im LEH wie in der
Landwirtschaft. Einstige Marktführer wie Kaiser’s-Tengelmann,
Schlecker und jetzt Real, die nicht mehr genügend Kunden anziehen,
gehen pleite. Der Konkurrenzkampf ist gnadenlos. Bio ist für den LEH
eine Profilierungsmöglichkeit, mit der höhere Margen erwirtschaftet
werden. Der Marktführer bei Bio ist Aldi. Inzwischen werden von den
wichtigsten Bio-Produkten ein Drittel bis die Hälfte in Deutschland
über Discounter abgesetzt: Milch und Milchprodukte, Eier, Kartoffeln
und Gemüse sowie Fleisch. Ohne die Discounter könnte Bio in
Deutschland einpacken. Genauso wie ohne Vollsortimenter und
Drogerie-Märkte. DM-Drogerie Markt ist der wichtigste Abnehmer für
Hafer aus gluten-freien Lieferketten aus Norddeutschland. Die mit
Abstand größte Bio-Vielfalt haben die Bio-Supermärkte, von denen
es in der Hauptstadtregion über hundertdreißig gibt, und jedes Jahr
kommen mehr dazu.
Zu 4. Jede Lieferkette hat ihre
eigenen Gesetze und Mechanismen
So wenig wie es DEN Landwirt
und DEN Verbraucher gibt, gibt es DIE Lieferkette für Bioprodukte.
Im Frischebereich werden unter anderem aus logistischen Gründen
viele Bio-Produkte der jeweiligen Kategorie mit den entsprechenden
konventionellen Produkten zusammen geliefert. Konventionelle
Lieferanten bleiben bei den Lebensmittelketten nur im Geschäft, wenn
sie auch Bio mit liefern. Die Mengen werden über die Handelsmarken
der Handelsketten abgesetzt. Meist hat der Landwirt nur indirekt mit
dem LEH zu tun, vermittelt über einen Verarbeiter, Packer, Bündler.
Diese wiederum beliefern oft mehrere und manchmal alle wesentlichen
Lebensmittelketten. Sie können nicht leicht über den Tisch gezogen
werden, weil sie sich in ihrem Bereich richtig gut auskennen. Sie
werden gebraucht, wenn eine Bio-Kategorie gut entwickelt werden soll.
Ein Beispiel liefert der Runde Tisch Bio-Kartoffel, siehe unten.
Zu 5. Das regionale Potential des LEH
ist nicht ausgereizt
Der Bio-Fachhandel in Berlin wird im
Wesentlichen von drei Großhändlern beliefert, Terra Naturkost,
Dennree Berlin und dem kleineren Midgard Naturkost, der zur Bio
Company mit ihren 60 Bio-Supermärkten gehört. Ihr Wachstum von
immerhin 10% wird vor allem durch neue Bio-Supermärkte generiert.
Meist können sie ihre steigende Nachfrage durch bestehende
Lieferanten erfüllen – außer bei Obst und Gemüse und Kartoffeln,
wo es noch nie genug regionale Ware gab. Das Wachstum des
Bio-Absatzes im LEH ist stärker, und die Lücke bei regionalen
Produkten noch größer. Rewe kooperiert mit Naturland, Lidl mit
Bioland und Kaufland mit Demeter. Die meisten Produkte laufen über
die regionalen Zentralläger der jeweiligen Gruppe. Daneben gibt es
auch selbstständige Einzelhändler, die meist Rewe oder Edeka
angeschlossen sind, aber sich zum Teil mit einem eigenen Sortiment
profilieren, am liebsten mit regionalen und Bio-Produkten.
Zu 6. Bio + Regional in der AHV Außer Haus Verpflegung – öffentlich gefördert und privat schmackhaft gemacht
Die Außer-Haus-Verpflegung macht in Deutschland fast ein Drittel aller Lebensmittelumsätze aus. Bio hat daran nur einen Anteil von weniger als ein Prozent. In vielen Deutschen „Bio-Städten“, zu denen auch Berlin gehört, werden steigende Bio-Anteile in den Kantinen öffentlicher Einrichtungen, wie Schulen und Kitas, vorgeschrieben. Frankreich und vor allem Dänemark hat damit gute Erfahrungen gemacht. Dort sollen die öffentlichen Küchen bis 2020 mindestens 60 Prozent Bio-Zutaten einsetzen. Sollen wesentliche Anteile aus Brandenburg kommen, so wird schon die Steigerung des Berliner Grundschul-Bedarfs auf 50 Prozent bis 2021 eine große Herausforderung. Der Verband Deutscher Schul- und Kitacaterer VDSKC betreibt, unterstützt vom Berliner Senat, www.wo-kommt-dein-essen-her.de. Private Betriebsgastronomie ist in Dänemark wie in Deutschland die zweitgrößte Bio-in-der-AHV Gruppe. Hier muss Bio in der täglichen Auswahl der Tischgäste attraktiv sein und sich bewähren. Dabei können auch Stories und Crowd Farming, wie von Transgourmet präsentiert, hilfreich sein.
Zu 7. Selbst
bei Bio-Mähdruschfrüchten geht noch was
Zwei Drittel des
Bio-Getreides wird verfüttert. Die Umstellungswelle bei
Marktfruchtbetrieben 2018/19 hat dazu geführt, dass Roggen schlecht
abzusetzen ist und U-Roggen noch schlechter und U-Roggen von
EU-Bio-Betrieben oft nur zum konventionellen Preis. Den Letzten
beißen die Hunde. Das ist nicht neu. In einem doch noch so kleinen Markt schlagen auch relativ kleine Schwankungen (hier: Trockenheit, Importe, mehr Umsteller) voll durch. Die anwesenden Getreidehändler
Naturland Marktgesellschaft und Gut Rosenkrantz suchen auch derzeit
Hafer, Dinkel, Körnermais, Körnerleguminosen, Soja, Raps und
Sonnenblumen. Auch beim Getreide sehen sie die Möglichkeit, weiter
ausländische EU-Bio-Ware durch deutsche Verbandsware zu verdrängen.
Bio-Verbands-Betriebe, die selbst sauber lagern können (keine
frühere Actellic- oder Chlorpropham-Anwendungen oder
Komplettsanierung) oder selber Futtermischungen bestellen oder auch
gesuchte Produkte liefern, sind klar im Vorteil. Auf jeden Fall
sollten sich Umsteller mit erfahrenen Abnehmern, Kollegen und
alternativen Abnehmern regional und überregional be- und absprechen.
Frühzeitige Gespräche, Planung und Kommunikation verbessert die
Vermarktungsmöglichkeiten.
Zu 8. „Regionale Verbands Bio-Eier sind der Knaller“ Richard Geiselhart, Landkost-EiBio-Eier boomen. Die zweitgrößte Bio-Warengruppe (nach Milch) ist, man höre und staune, Bio-Eier mit 286 Mio. € Verkaufserlösen 2017 (mehr als 20% aller Eier-Erlöse). Das sind nicht die Mistkratzer im Hinterhof, die manch ein Verbraucher von Bio erwartet, sondern zu 90% Legehennen-Bestände mit zwischen 3.000 und 30.000 Tieren. Auch in der Region Berlin steigt die Nachfrage weiterhin und Landkost-Ei sucht regionale Erzeuger, am liebsten Bio-Verbandsmitglieder. Hintergrund ist auch, dass Bio-Ackerbaubetriebe in ganz Norddeutschland Hühner-Trockenkot von Bio-Legehennen-Haltern in Weser-Ems beziehen. Viel sinnvoller ist, im Nordosten selbst mehr Bio-Hühnerställe zu bauen und damit nicht nur Geld zu verdienen, sondern auch dringend benötigten organischen Dünger zu bekommen und Nährstoffkreisläufe vor Ort zu schließen. Für kleinere Betriebe sind auch Mobil-Ställe interessant, die sich wirtschaftlich bei Direktvermarktung lohnen können und die die Bodenfruchtbarkeit auf kleinen Flächen erhöhen können.
Zu 9. Bio-Milch: Erst Absatz sichern
– für manchen Einzelnen bitter, aber für die Bio-Branche
unvermeidbar
Milch ist die mit Abstand größte
Produktkategorie im Ökolandbau. Sie wächst weiterhin, aber nicht in
dem Maß, in dem Betriebe umstellen möchten. Die Beschränkung gilt
der seit 2016 gelungenen Erhaltung des Preises. Sechs Molkereien
verarbeiten Bio-Milch im Nordosten, die neue Luisenhof
Milchmanufaktur für Berlin in Velten, die Gläserne Molkerei in
Münchehofe, BB, und Dechow, MV, die Lobetaler Bio-Molkerei in
Biesenthal, BB, die Brodowiner Meierei, BB, Arla in Upahl, MV, und
die ODW Frischprodukte in Elsterwerda, BB, mit der Marke „Mark
Brandenburg“ aber ohne Geschäftsführer vor Ort und ohne Erwähnung
von Bio-Milch auf ihrer Website. Mit Frischmilch allein kann heute
keine Molkerei mehr überleben, auch nicht mit Bio-Frischmilch.
Produktdifferenzierungen wie Weide- und Heumilch, diverse Joghurte
und Käse, Schafs- und Ziegenmilch sind Voraussetzungen für eine
auskömmliche Wertschöpfung. Dabei werden die Logistikkosten immer
wichtiger. Schließlich ist der Erzeugerpreis eher in einer
niederschlagsreichen Region auf schwereren Böden ausreichend als auf
Sandböden im Trockenklima.
Zu 10. Bio-Fleisch: Schlacht- und
Zerlegebetriebe werden gebraucht
Bio-Rinder werden im
Nordosten nach wie vor zu einem erheblichen Anteil konventionell
abgesetzt. Das geht einigermaßen, wenn die Kosten niedrig sind. 2017
betrug der Bio-Rindfleisch Umsatz in Deutschland 212 Millionen Euro
und damit 5,3 Prozent des gesamten Rindfleisch-Umsatzes. Die
entsprechenden Zahlen beim Bio-Schweinefleisch betrugen 96 Millionen
Euro und 1,2 Prozent. 2018 brachte ein Wachstum von 15 Prozent und
2019 war der Umsatz nach ersten Angaben stabil. Das Wachstum fand mit
verpackter Ware im LEH statt, Aldi hatte mit + 47 Prozent den
Spitzenplatz. Die meisten Bio-Tiere werden in großen bis sehr großen
konventionellen Betrieben geschlachtet und zerlegt. Mit zunehmender
Konzentration wird das für diese Betriebe immer uninteressanter.
Soll weiterhin Bio-Fleisch vermarktet werden, so werden mehr weiter
verteilte, kleinere Schlachtbetriebe gebraucht, was für diese
Betriebe auch eine Chance sein kann. Vor allem aber werden
Zerlegebetriebe gesucht, die das Fleisch als Selbst-Bedienungsware
verpacken. Findet man keinen bestehenden Betrieb dafür, dann stellt
sich die Frage nach einer Neugründung.
Zu 11. Bio-Kartoffeln und Gemüse:
Die größte Nachfrage und das kleinste Angebot
Selbst der
Bio-Fachhandel in Berlin, der sehr intensiv mit regionalen Landwirten
zusammen arbeitet, führt mehr Kartoffeln und Gemüse aus
Niedersachsen als aus Brandenburg – nicht, weil das billiger oder
schöner wäre, sondern einfach, weil das verfügbar ist, während es
in Brandenburg viel zu wenig gibt. Die Gründe dafür sind
vielfältig. Ein Grund ist unter „1.“ beschrieben, die relative
Vorzüglichkeit in mehr Land zu investieren als in mehr Wertschöpfung
je ha. Kartoffeln und Gemüse sind sehr kapitalintensiv, vor allem
für Ernte und Lagerung. Fehlendes Know-how und begrenzte
Managementkapazitäten sind ein weiterer Grund. Meist fehlt es an
Beregnung, ohne die in diesem Bereich gar nichts geht. Und
schließlich werden im Bio-Gemüseanbau viele Saisonarbeitskräfte
zum Unkraut Hacken und zur Ernte gebraucht – jedenfalls solange die
Roboter noch nicht so weit sind. Wer trotzdem in größerem Stil
Bio-Kartoffeln erzeugen will, kann sich dem Bio Kartoffel Erzeuger
Verein BKE anschließen, der den Runden Tisch Bio-Kartoffeln
initiiert hat. Dort ist die ganze Lieferkette versammelt von
Erzeugern über die beiden größten Packbetriebsgruppen Öko-Kontor
und Hans-Willi Böhmer bis zum Einzelhandel Alnatura, Rewe und
Tegut. Dort ist die „300 Tage deutsche Bio-Kartoffel“-Regel
entstanden, an die sich auch Aldi hält. Sie besagt, dass 300 Tage im
Jahr deutsche Bio-Kartoffeln bevorzugt werden vor etwaigen
Bio-Frühkartoffeln aus Ägypten, Israel, Marokko, Spanien oder
Süditalien. In Brandenburg kümmert sich das EIP Projekt Bio-Gemüse
aus Brandenburg um die Ausweitung des Bio-Kartoffel- und
–Gemüseanbaus und holt dazu auch erfahrene Landwirte und Berater
aus Niedersachsen. Rewe Ost ist sehr interessiert an regionalen
Bio-Kartoffeln und Gemüse, auch von kleineren Betrieben.
Zu 12. Neue Mähdruschfrüchte: Nutzhanf und Öl-Lein – neue Chancen?
Nutzhanf ist eine interessante Kultur, wenn er tief wurzeln kann. In trockenen Jahren mit viel Sonnenschein können die THC-Gehalte so ansteigen, dass sie für den Landwirt noch zulässig sind, nicht jedoch für den Vertrieb als Lebensmittel. Die Behörden der Bundesländer beurteilen das unterschiedlich. Hier ist viel Lobbyarbeit nötig, bei der hoffentlich der Erzeuger-Zusammenschluss in Mecklenburg-Vorpommern und das Nutzhanf Kompetenzzentrum Wittstock/Dosse helfen können. Kontakt: wilhelm.schaekel@icloud.com Mit Öl-Lein hat Peter Stuckert als Betriebsleiter auf Gut Klepelshagen viele Erfahrungen gesammelt. Jetzt initiiert er als Bioland-Berater Nordost dafür eine Erzeugergemeinschaft. Kontakt peter.stuckert@bioland.de
Conrad Thimm, Bio2030 MitmachTagungen im März 2020, info@bio2030.de
Kontakte:
Rewe Köln: Marcus.Wewer@rewe-group.com
Naturland Markt: m.guenther@naturland-markt.de und m.vollmer@naturland-markt.de
Gut Rosenkrantz Handelsgesellschaft: Louisa.von-Muenchhausen@gut-rosenkrantz.de und heiko.friedrich@gut-rosenkrantz.de
Landkost Ei, Bestensee: geiselhart@svb-bestensee.de
Bio-Gemüse aus Brandenburg, EIP-Projekt: g.koehler@foel.de
5. DANK
Unser großer Dank geht an unsere Partner, ohne die die Tagung nicht hätte stattfinden können:
- TOP Initiativ Partner: AKB-Stiftung, Horsch, Transgourmet
- Premium
Förder Partner: Peiffer-Claydon, Schmotzer Hacktechnik,
Marktgesellschaft der Naturland Bauern,
Gut Rosenkrantz Handelsgesellschaft - Förder Partner: K.U.L.T. Kress Landtechnik, FGL-Handelsgesellschaft, pro agro e.V.
Der Dank geht an die Bio-Verbände, den Bauernverband, die FÖL sowie unsere Medienpartner Bauern Zeitung, Bioland Fachmagazin, DLG-Mitteilungen, Ökologie & Landbau und top agrar.
Der Dank geht genau so an alle Referenten, Moderatoren und Helfer
und last but not least an alle Teilnehmer*innen, die zu der Tagung mit ihren Beiträgen und ihrer Anwesenheit entscheidend beigetragen haben. Ohne Sie wäre das alles nix gewesen.
Vielen Dank!
Gustav Alvermann und Conrad Thimm im März 2020
¹ In diesem Text sind immer alle Geschlechter gemeint